Seideinerzeitvoraus.
WienerModerne

Berta

Zuckerkandl

Model Claire Bauroff fotografiert von

Trude

Fleischmann

Sie lag auf dem Diwan und hielt Hof

Ob mit politischem Engagement oder durch persönlichen Mut – die Frauen der Wiener Moderne machten Emanzipation erstmals zum Thema. Ein Blick auf die starken Frauen der Jahrhundertwende.

Bilder (in Abfolge): © Imagno/ÖNB • © Imagno/Austrian Archives •

© ÖNB • © Imagno/Wien Museum • © Imagno/Ullstein • © Imagno/ÖNB

Bis ins 19. Jahrhundert waren die Aufgaben der Frauen klar definiert und auf innerfamiliäre Dienstleistungen ausgerichtet. Weibliche Bildung durfte nicht über den Hausgebrauch einer Abendkonversation hinausreichen. Aber natürlich arbeiteten die Frauen des 19. Jahrhunderts außerhalb der Familie, wenn auch ohne gesellschaftliche Anerkennung: als Handwerksfrauen, Lehrerinnen, in der Krankenpflege und – wie Schnitzlers „süßes Mädel mit den zerstochenen Fingern“ – in den Fabriken der stets wachsenden Großstadt. Die Kluft zwischen Gelebtem und Wahrgenommenem war immens.

„Die Rolle der Frau war ein Konstrukt, das nichts mit der Realität zu tun hatte“, meint dazu die Historikerin Gabriella Hauch von der Universität Wien. „Dieses Rollenbild entwickelte sich, in Gesetzen abgesichert, zum Paradigma. In Wahrheit war das Frauenleben äußerst divers. Die analphabetische Taglöhnerin ist ebenso darunter zu fassen wie die bereits selbstbewusste Fabriksarbeiterin oder die Heerscharen an Dienstmädchen. Zum anderen gab es aber auch die Frauen und Töchter aus gutsituiertem bürgerlichem Milieu oder aus adeligen Kreisen. War für die einen die Erwerbsarbeit notwendig und verdammenswert, war sie für die anderen ein anzustrebendes Ziel.“ So betrachtet, hatten alle Frauen Grund, sich zu erheben, und es war längst an der Zeit, dass das auch passierte.

Rosa

Mayreder

Die Stimmen erheben

Lautstark und unüberhörbar wurden die Rechte eingefordert. Auf zwei Persönlichkeiten ist hier besonders hinzuweisen: Die Frauenrechtlerinnen Marie Lang (1858-1934) und Rosa Mayreder (1858-1938), beide aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Lang tat sich als energische, eloquente Rednerin hervor und war Mitbegründerin des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins, dessen vorrangige Ziele das allgemeine Wahlrecht und die Gleichstellung der Geschlechter waren. Mayreder, eine unermüdliche Kämpferin gegen Diskriminierung und Doppelmoral, wurde mit ihrem Konterfei auf der 500-Schilling-Banknote verewigt.

Die Salonièrre

Ob die Ambitionen nun politisch oder künstlerisch, intellektuell oder auch bloß gesellschaftlich waren – die Freigeister schlossen sich in Zirkeln zusammen. Fortschrittliche Frauen aus der bürgerlichen Schicht lösten sich von den Konventionen, erweiterten ambitioniert das Betätigungsfeld und bekannten sich zu ihrem Intellekt. Sie hatten ein Gespür für den Zeitgeist und nur diese eine Chance. Was damals entstand, war der Archetyp des Netzwerkens: der Wiener Salon.

Gustav

Klimt

und

Emilia

Flöge

am Attersee

text:Elisabeth Freundlinger

Jahrgang 1964, arbeitet als freiberufliche Texterin und Autorin. Sie lebt in Wien.

Eine Salonnière war mehr als eine Gastgeberin, und sie hatte mehr zu tun, als eine Speisenfolge zu planen. Viel mehr galt es, eine Gästeliste zusammenzustellen, um ein Menü zu kreieren, das schmackhaft und gehaltvoll, würzig und doch gut verdaulich war. Grundelement war der Esprit, gewürzt wurde mit Skandalen, Amouren, politischen Schachzügen und vor allem Kunst. Und über allem stets eine feine erotische Note. Man sprach darüber, Moral wurde in Frage gestellt. Eine, die für besonders viel Gesprächsstoff sorgte, war Alma Schindler, spätere Mahler bzw. Gropius bzw. Werfel (mehr über das Skandalleben von Alma im Kasten). Doch auch der Freisinn dieser Epoche hatte seine Grenzen: Die Affäre von Lina Loos (1882-1950), Ehefrau des Architekten, mit dem erst 18-jährigen Sohn ihrer Freundin, endete nicht nur mit dem Selbstmord des jungen Mannes, sondern auch mit der kurzfristigen gesellschaftlichen Verbannung Linas. Letztendlich waren es aber genau solche Dramen, die an den festgefahrenen Vorstellungen rüttelten.
Stets im Rahmen der gesellschaftlichen Position bewegte man sich hingegen im Salon der Fürstin Nora Fugger (1864-1945). Als Ehefrau eines kaiserlichen Kammerherrn beschränkten sich ihre Kontakte auf die Welt der Aristokratie, und ihr Buch „Im Glanz der Kaiserzeit“ gilt heute noch als Standardwerk für Interessierte am höfischen Leben.

Die Zuckerkandl und ihr Diwan

Doch dem Hof, lange Zeit einziger gesellschaftlicher Trendsetter, war mit den politischen und künstlerischen Salons inzwischen eine große Konkurrenz gewachsen. Eine der bedeutendsten Wiener Salonnièren der Jahrhundertwende war Berta Zuckerkandl (1864-1945). Ihr Salon befand sich ab dem Jahr 1917 im Palais Lieben-Auspitz nahe dem Burgtheater. Heute ist an dieser Stelle das Café Landtmann. Meist fand man die Zuckerkandl auf ihrem langen Diwan sitzend, umgeben von jungen Malern, Dichtern und Musikern. Eloquent, charismatisch und voller Ehrgeiz weitete sie ihren Einfluss immer mehr aus. Maßgeblich an der Gründung der Secession beteiligt, war sie nicht nur eine, die im Hintergrund die Fäden zog. Für eine graue Eminenz war sie viel zu bunt. Ihr „Erzfeind“ Karl Kraus bezeichnete sie boshaft als „Kulturschwätzerin“.

In den späteren Jahren engagierte sie sich pazifistisch und arbeitete noch in der Emigration als außenpolitische Kolumnistin. – In diesem Punkt unterscheiden sich, damals wie heute, die Emanzipationsbestrebungen der Frauen. Geht es um den Willen nach gesellschaftlicher Veränderung oder bloß um persönliches Weiterkommen?

Neues Selbstbewusstsein im Beruf

Unter den Pionierinnen, die im Wien des späten 19. Jahrhunderts die Kunst zu ihrem Beruf erwählten, waren viele Jüdinnen, wie etwa die Malerinnen Tina Blau (1845-1916), Broncia Koller-Pinell (1863-1934), Marie-Louise von Motesiczky (1906-1996) oder die Keramikerinnen Vally Wieselthier (1895-1945) und Susi Singer (1891-1965).
Unbeirrbar verfolgte auch die Fotografin Trude Fleischmann (1895-1990) ihre persönliche Karriere in einer Männerdomäne.

Zwar waren Frauen in der Porträtfotografie noch geduldet, mit dem Abbilden nackter Körper war das aber eine andere Sache. Fleischmann schreckte nicht vor dem Skandal zurück.Der Krieg nahm ihr die Existenzgrundlage, aber sie rappelte sich hoch und baute ihr Studio in Manhattan neu auf. Bis heute findet man ihre Bilder in den bedeutendsten Museen der Welt. Auch die an der Hofoper ausgebildete Tänzerin Grete Wiesenthal (1885-1970) wollte mehr als das, was ihr von der Gesellschaft zugestanden wurde. Um ihre künstlerischen Vorstellungen kompromisslos umzusetzen, gründete sie eine eigene Ballettschule.
Noch mehr auf den eigenen Erfolg zentriert war die Wiener Schauspielerin Hedy Kiesler (1914-2000), die in Amerika unter dem Namen Hedy Lamarr Karriere machte. Sie galt als schönste Frau der Welt und war noch vor Monroes #Zeiten Filmgöttin, Stilikone und Covergirl.

Die Eintrittskarte nach Hollywood löste sie mit einem Eklat: Lamarrs Nacktszene sowie ein angedeuteter Orgasmus in dem Streifen „Extase“ rief in Deutschland die Zensurbehörden auf den Plan. Dass Lamarr mehr zu bieten hatte als einen glamourösen Körper, erfuhr die Öffentlichkeit erst viel später. Sie war Miterfinderin eines Fernsteuerungssystems für Torpedos und entwickelte ein Patent, das noch heute in der Bluetooth-Technologie Verwendung findet. Allerdings entsprang auch diese Erfindung einem persönlichen (Rache-)Motiv: Ihr erster Ehemann, ein Waffenhändler, der für die Nazis arbeitete, hatte sie jahrelang wie eine Sklavin gefangen gehalten.
Auch die Modeschöpferin Emilie Flöge (1874-1952) war eine selbstbestimmte Frau. Die erfolgreiche Unternehmerin betrieb gemeinsam mit ihren Schwestern einen florierenden Haute Couture-Salon, in dem zeitweise bis zu 80 Schneiderinnen beschäftigt waren. Als Designerin schuf sie eigene Kreationen und setzte auch Entwürfe der Wiener Werkstätte um.

Und doch ist sie uns vor allem in einer Rolle in Erinnerung: als Gefährtin des Malers Gustav Klimt … Dabei haben sie und viele andere im Wien um 1900 so viel dafür getan, aus dem Schatten ihrer Männer zu treten. Nicht wenig haben sie erreicht und es geschafft, die Frauenemanzipation bis heute nachhaltig zu beeinflussen.

Hedy

Kiesler

Lamarr

im Film Extase

Die Versächlichung ihres Namens nahm sie in Kauf. Der Komponist Gustav Mahler (1860-1911) stellte noch vor der Hochzeit in einem über 20 Seiten langen Brief klar, dass die 19 Jahre jüngere Alma Schindler (1879-1964) fortan ausschließlich für ihn zu leben und sämtliche eigenen Ansprüche zu begraben hatte. Dabei komponierte Alma doch auch selbst und das angeblich gar nicht so schlecht. Es interessierte ihn nicht. Sie nahm es hin, bis … nun, solange, bis ihr die nächste Koryphäe begegnete. Hat sie sich nun in die Kunst verliebt oder in den Künstler? Diese Frage beschäftigt ihre Biografen bis heute. Tatsache ist, dass die Liste ihrer Geliebten und Ehemänner so stattlich ist, wie deren Talent unbestreitbar. Gefördert durch die Muse Alma, kam das Genie ans Licht. Der Maler Kokoschka, der Architekt Gropius, der viel jüngere Schriftsteller Franz Werfel. Alma überlebte sie alle und beschrieb sie – nicht immer gnädig – in ihren Memoiren. Grausam listet sie körperliche Defizite wie menschliche Schwächen auf und spart nicht einmal mit dummen rassenpolitischen Bemerkungen. Durch ihre zunehmenden Sympathien für den Nationalsozialismus entlarvte sie schließlich persönlich das eigene Selbstbild. Hinter der Fassade der aufopfernden Muse zeigte sich der Charakter einer promiskuitiven, bornierten, vom Ehrgeiz beherrschten Frau. Alma Mahler, wie sie sich zum Schluss wieder nannte, starb am 11. Dezember 1964 in New York und wurde in Wien auf dem Grinzinger Friedhof beigesetzt.

Geliebtes „ALMSCHI“:

AlmaMahler-Werfel

und ihre Männer